Von Werner Herzog bis Kim Novak: Meine Highlights der Biennale Cinema 2025
Ein Bericht von Gisela Risse zum Filmfestival Venedig 2025.
Dieses Jahr war ich zum vierten Mal hier in Venedig und auch zum vierten Mal auf der Biennale Cinema. Seitdem bin ich dem Charme dieser besonderen Stadt erlegen. Jedes Mal ist es anders, neu, spannend und aufregend! 🥳 Spannend ist es auch, ob es einem gelingt, eine Platzreservierung für eine Filmvorführung zu bekommen. Das Online-Buchungssystem ähnelt einem Glücksspiel. Hat man eine erfolgreiche Reservierung geschafft, wird man für die nächste Buchung erneut in die Warteschlange versetzt. Das kann dann auch gut und gerne noch mal 50 Minuten dauern.
Oft sind dann die gewünschten Plätze bereits ausverkauft. Für die letzten drei Tage musste man sich für eine Kinokarte um 6:45 Uhr in die Warteschlange stellen. Erfreulich ist, dass es für Filmliebhaber unter 26 und über 65 Jahre wieder eine Promotional Card zu erwerben gab. Damit hat man Zugang für das gesamte Festival.
Über 100 Filme beim Filmfestival Venedig 2025
In diesem Jahr wurden über 100 Filme gezeigt, auch mit deutscher Beteiligung. Wie bspw. mit den Schauspielern Sebastian Koch und Julia Windischbauer in „Etty“. „Etty“ ist eine Serie des preisgekrönten israelischen Regisseurs Hagai Levi. Es gibt inzwischen immer mehr Festivals, auf denen Miniserien gezeigt werden. Für die dreieinhalb Stunden benötigt man dann auch ein entsprechendes Durchhaltevermögen.
Insgesamt premieren fünf vom Medienboard Berlin-Brandenburg geförderte Filme bei den 82. Filmfestspielen Venedig. Das Film-Festival selbst ist unterteilt in verschiedene Sektionen: Venezia Competition, Out of Competition, Orizzonti, Venezia Spotlight und weitere unabhängige Sektionen. Und natürlich die Sektion Venice Classics. Hier werden restaurierte klassische Filme und Dokumentationen gezeigt, von Stanley Kubricks „Lolita“ bis „Matador“ von Pedro Almodóvar.
Hinzu kommen noch die verschiedenen Projekte im Bereich Venice Immersive. Jury-Präsident des Hauptwettbewerbs ist der US-amerikanische Regisseur Alexander Payne.
„La Grazia“ des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino
Eröffnet wurde das Festival mit dem Spielfilm „La Grazia“ des italienischen Regisseurs Paolo Sorrentino. Er konkurriert neben 20 weiteren Filmen um den Goldenen Löwen. Es ist ein Liebesfilm über Zweifel und Verantwortung, Eifersucht und Zärtlichkeit. Die Handlung spielt vor dem Hintergrund einer fiktiven italienischen Regierung. Hauptdarsteller sind Toni Servillo und Anna Ferzetti. In der Gunst der nationalen Presse belegte der Eröffnungsfilm rasch Platz 1 (CIAK– Magazin, n7, vom 2.9.2025).
Clooney, Blanchett, Swinton u.v.m.
Venedig ist die große Bühne, nicht nur für den italienischen Film. Internationale Regisseure und Schauspieler geben sich hier die Klinke in die Hand. Julia Roberts ist zum ersten Mal hier mit dem Thriller „After the Hunt“. Regisseur ist wieder ein Italiener, Luca Guadagnino.
Cate Blanchett, Emma Stone, Tilda Swinton, Christoph Waltz, Greta Gerwig, Laura Dern u. v. m. sind zur Mostra del Cinema gekommen. Und natürlich George Clooney und Adam Sandler mit dem Film „Jay Kelly“ von Noah Baumbach, in dem übrigens Lars Eidinger eine kleine Nebenrolle hat. Bei „Inas Nacht“ sagte er über George Clooney „(…) es ist überwältigend, dass es ihn gibt …“. (NDR Inas Nacht, ausgestrahlt am 7.8.2025).
International besetzte Jurys in den verschiedenen Sektionen vergeben die begehrten Preise, unter anderem für den besten Film, die beste Regie, die Coppa Volpi für die beste Darstellerin und den besten Darsteller. Aber auch verschiedene andere Awards und Spezialpreise gibt es zu gewinnen. Der Ehrenpreis fürs Lebenswerk wurde in diesem Jahr zweimal vergeben. Francis Ford Coppola überreichte den Goldenen Löwen an den deutschen Filmemacher Werner Herzog.
Kim Novak: Goldener Löwe für ihr Lebenswerk
Die Schauspiellegende Kim Novak erhielt den Preis aus den Händen des mexikanischen Regisseurs Guillermo del Toro. Er ist zudem mit seiner Version von „Frankenstein“ in die Lagunenstadt angereist. Der großartige Schauspieler Oscar Isaac verkörpert den Doktor Victor Frankenstein. Die Rolle des Dr. Septimus Pretorius übernahm Christoph Waltz, der deutsch-österreichisch-amerikanische Schauspieler und zweifache Oskar-Gewinner.
„Frankenstein“
Sein österreichischer Landsmann Felix Kammerer ist ebenfalls mit von der Partie. Er hat in 2023 den Deutschen Filmpreis und auch den Bambi für die beste männliche Hauptrolle für „Im Westen nichts Neues“ bekommen. Die Kritiken zum Film „Frankenstein“ fallen unterschiedlich aus. Die „Welt“ staunt über ‚den großen Monstermacher‘ und die „SZ“ fragt sich, ob es wirklich noch mehr Adaptionen des Stoffs braucht. (Perlentaucher, das Kulturmagazin, vom 1.9.2025).
„Father Mother Sister Brother“
Mit einem großartigen Cast wartete auch der Film „FATHER MOTHER SISTER BROTHER“ vom US-amerikanischem Regisseur Jim Jarmusch im Wettbewerb auf. Adam Driver, Cate Blanchett, Vicky Krieps und die wunderbare Charlotte Rampling als Mutter. Dieser Film erzählt von Beziehungen zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern und den Geschwistern untereinander. Eigentlich sind es drei Geschichten in drei verschiedenen Ländern. Alle handeln von alltäglichen Dingen. Sie sind banal, komisch, peinlich, traurig, versöhnlich.
Der Regisseur im Director’s Statement: (…) quiet style carefully constructed to allow small details to accumulate – almost like flowers being carefully placed in three delicate arrangements (…).
„The Voice of Hind Rajab“
Gar nicht leise oder alltäglich ist dagegen der Film „The Voice of Hind Rajab“, der Film der tunesischen Regisseurin Kaouther Ben Hania. Executive Producer sind Joaquin Phoenix und Rooney Mara.
Venedig hat immer auch Platz für den politischen Film. Dieser ist wohl einer der beeindruckendsten. Der Film premierte am Mittwoch im Wettbewerb um den Leone d‘Oro.
Kaouther Ben Hania erzählt darin die reale Geschichte der 5-jährigen Hind Rajab. Die letzten Stunden ihres Lebens. Das palästinensische Mädchen befindet sich in einem Auto in Gaza-Stadt unter Beschuss. Fast alle anderen Insassen sind schon tödlich getroffen. Per Handy fleht sie um Hilfe beim Roten Halbmond. Die 70-minütige Originalton-Aufnahme bildet den Kern des Filmgeschehens.
Die Helfer des Roten Halbmonds hielten Hind Rajab am Telefon, während sie alles versuchten, um einen Rettungswagen zu ihr zu schicken. Vergeblich! In einer Mischung aus Dokumentar- und Spielfilmszenen wird auf beklemmende Weise der Horror dargestellt und spürbar, der durch israelische Macht gegen Zivilisten und Hilfsorganisationen ausgeübt wird.
Der Rote Halbmond benötigt für seine Einsätze das Okay des israelischen Militärs, um die Sicherheit der Rettungshelfer zu gewährleisten. In diesem Fall hat es drei Stunden gedauert. Für Hind Rajab zu lange. Die Regisseurin betonte, dass sie sich bewusst gegen Bilder von Gewalt und für die Tonbandstimme von Hind als zentrales filmisches Element entschieden hat.
Das bange Flehen von Hind, die erdrückende Stille des Schweigens, das zermürbende Unterfangen, Hilfe zu organisieren, ist hautnah präsent. Es geht um Politik, Ethik und Verantwortung, nicht nur Gaza. In ihrem Director‘s Statement sagt sie: (…) I cannot accept a world where a child calls for help and no one comes. That pain, that failure, belongs to all of us. This story is not just about Gaza. It speaks to a universal grief (…).
Zur Premiere trugen die Regisseurin und ihr palästinensisches Filmteam und auch die Produzenten Joaquin Phoenix und Rooney Mara schwarze Abendkleidung. Es gab auch keine fröhliche Festival-Musik. Dafür am Ende des Films über 20 Minuten Standing Ovations und „Free Palestine“-Rufe. Natürlich hat der Film beim Publikum und den Kritikern gemischte Reaktionen ausgelöst, wie immer beim Thema Israel und Gaza. Unberührt geblieben ist sicher niemand!
„Broken English“
Eins meiner persönlichen Highlights ist der Film „Broken English“ von den Regisseuren Jane Pollard und Iain Forsyth. Es ist ein dokumentarisches Portrait der Sängerin, Songwriterin und Ikone Marianne Faithfull. Ein Film über sie und mit ihr. Wir bekommen einen Einblick in ihr Leben als Künstlerin und Mensch. Das Gespräch mit ihr wird immer wieder durch Archivaufnahmen in Ton und Bild ergänzt.
Dabei kommen auch Wegbegleiter wie Mick Jagger und Bob Dylan vor. Der ganze Film wirkt in seinem Setting experimentell. Das Gespräch mit Marianne Faithfull findet in einer Art Studio im Retro-Stil statt.
Den Rahmen bildet ein fiktives ‚Ministerium des nicht Vergessens‘, das zuständig dafür ist, dass musikalische Erinnerungen von wichtigen Künstlern archiviert werden.
Tilda Swinton spielt den ‚Overseer‘ des Ministeriums, der streng bürokratisch das Interview und die Tapes von Marianne Faithfull fürs Archiv dirigiert. Als diese Dokumentation mit Marianne Faithfull gedreht wurde, litt sie schon sehr unter ihrem Lungenemphysem. Trotzdem singt sie am Ende des Films im Duett mit Nick Cave das Lied „Crazy Love“. Die Dokumentation hat mich in die 70er-Jahre versetzt. Schon damals war ich von ihren Liedern begeistert. Marianne Faithfull und Tilda Swinton in einem Film zu erleben, war umso schöner!
„Kim Novak‘s Vertigo“
Glücklich war ich auch über mein Ticket für die Ehrung von Kim Novak. Diese 92-jährige Hollywoodlegende zu treffen, ist schon etwas Besonderes! Viele Filmausschnitte leiteten die Preisverleihung ein. Sie war sichtlich bewegt, als Regisseur Guillermo del Toro ihr den Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk überreichte.
Jeder kennt sie aus ihren Hitchcock-Filmen. Kim Novak beeindruckt mich nicht nur durch ihre Schauspielleistung. Sie ist auch eine leidenschaftliche Malerin und starke Frau. In ihrer Rede trat sie dann auch für ‚Life Matters‘ und Demokratie ein. Die anschließend gezeigte Dokumentation „Kim Novak‘s Vertigo“ des Schweizer Filmemachers Alexandre O.Philippe ist ein intimes Portrait einer unabhängigen Frau.
Früh hat sie der Macht des sexistischen Hollywoods den Rücken gekehrt. Uns allen gab sie den Rat ihrer Mutter mit auf den Weg: Be the captain of your own ship! Starke Persönlichkeiten und starke Filme – das ist die Biennale Cinema 2025. Schade, dass man nicht alle Filme in der Zeit des Festivals sehen kann. Aber so weiß ich, was ich dann in Deutschland im Kino sehen möchte. Meine Auswahl steht jedenfalls fest. Fest steht auch … tornerò!
Hier gehts zur offizellen Seite der Biennale Cinema 2025.
Weitere wichtige Veranstaltungen in Venedig finden Sie hier.
Übersicht der Auszeichnungen.
Venezia 82 – Hauptwettbewerb
Kategorie | Preisträger:in | Film (Land) |
Goldener Löwe für den besten Film | Jim Jarmusch | FATHER MOTHER SISTER BROTHER (USA, Irland, Frankreich) |
Silberner Löwe – Großer Preis der Jury | Kaouther Ben Hania | THE VOICE OF HIND RAJAB (Tunesien, Frankreich) |
Silberner Löwe – Beste Regie | Benny Safdie | THE SMASHING MACHINE (USA) |
Coppa Volpi für die beste Darstellerin | Xin Zhilei | RI GUA ZHONG TIAN (THE SUN RISES ON US ALL) (China) |
Coppa Volpi für den besten Darsteller | Toni Servillo | LA GRAZIA (Italien) |
Bestes Drehbuch | Valérie Donzelli und Gilles Marchand | À PIED D’ŒUVRE (AT WORK) (Frankreich) |
Spezialpreis der Jury | Gianfranco Rosi | SOTTO LE NUVOLE (BELOW THE CLOUDS) (Italien) |
Marcello Mastroianni Preis für den besten Nachwuchs-Darsteller | Luna Wedler | SILENT FRIEND (Deutschland, Ungarn, Frankreich) |
Orizzonti
Kategorie | Preisträger:in | Film (Land) |
Bester Film | David Pablos | EN EL CAMINO (ON THE ROAD) (Mexiko) |
Beste Regie | Anuparna Roy | SONGS OF FORGOTTEN TREES (Indien) |
Spezialpreis der Jury | Akio Fujimoto | HARÀ WATAN (LOST LAND) (Japan, Frankreich, Malaysia, Deutschland) |
Beste Darstellerin | Benedetta Porcaroli | IL RAPIMENTO DI ARABELLA (Italien) |
Bester Darsteller | Giacomo Covi | UN ANNO DI SCUOLA (A YEAR OF SCHOOL) (Italien, Frankreich) |
Bestes Drehbuch | Ana Cristina Barragán | HIEDRA (THE IVY) (Ecuador) |
Bester Kurzfilm | Lovisa Sirén | UTAN KELLY (WITHOUT KELLY) (Schweden) |
Weitere Auszeichnungen
Kategorie | Preisträger:in | Film (Land) |
Löwe der Zukunft für den besten Debütfilm | Nastia Korkia | SHORT SUMMER (Deutschland, Frankreich, Serbien) |
Armani Beauty Publikumspreis | Maryam Touzani | CALLE MÁLAGA (Marokko, Frankreich, Spanien, Deutschland, Belgien) |
Venice Classics – Bester Dokumentarfilm über Kino | Joe Beshenkovsky und James A. Smith | MATA HARI (USA) |
Venice Classics – Bester restaurierter Film | Bahram Beyzaie | BASHU, GHARIBEYE KOOCHAK (BASHU, THE LITTLE STRANGER) (Iran, 1985) |
Venice Immersive – Großer Preis | Singing Chen | THE CLOUDS ARE TWO THOUSAND METERS UP (Taipei, Deutschland) |
Venice Immersive – Spezialpreis der Jury | Négar Motevalymeidanshah | LESS THAN 5GR OF SAFFRON (Frankreich) |
Venice Immersive – Achievement Preis | Kate Voet und Victor Maes | A LONG GOODBYE (Belgien, Luxemburg, Niederlande) |